Gefahr durch Leiharbeit?

Mirjam Rienth - Inhaberin Jobtour medical

06.04.2023

Gefahr durch Leiharbeit?

Artikel erschienen im März 2023 auf www.altenpflege-online.net

GEFAHR DURCH LEIHARBEIT?

Der Anteil der Leiharbeit in den Pflegeberufen ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Kritische Stimmen sagen, dass sich diese Entwicklung auch auf die Pflegequalität auswirke. Andere verweisen hingegen auf die Qualitätsstandards der Branche. 

PRO – Christine Vogler
Präsidentin des Deutschen Pflegerats E.V. und Geschäftsführerin des Berliner Bildungscampus Gesundheitsberufe.

” Pflegebedürftige Menschen benötigen professionell Pflegende, die ihnen vertraut sind und die ihre Situation, Bedürfnisse und Bedarfe kennen.”

Leiharbeitnehmerinnen und -arbeiter in der Pflege sind das Ergebnis schlechter Arbeitsbedingungen. Ziel muss es sein, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, um damit Leiharbeit weitgehend überflüssig zu machen. Die Folgen der Leiharbeit können qualitativ gravierend sein. Dies hängt ab von der Anzahl der eingesetzten Leiharbeitnehmenden, wie auch von deren Kompetenz, Qualifikation und Motivation. Dabei spielt das Umfeld, in dem diese eingesetzt werden, eine wesentliche Rolle.
Bundesweit liegt der Durchschnitt der in der Pflege eingesetzten Leiharbeitnehmerinnen und -nehmer zwischen zwei und fünf Prozent. In Berlin sind es laut der Berliner Krankenhausgesellschaft 9,4 Prozent. Damit ist eine gesicherte pflegerische Versorgung gefährdet.
Pflegebedürftige Menschen benötigen professionell Pflegende, die ihnen vertraut sind und die ihre Situation, Bedürfnisse und Bedarfe kennen. Das ist existentiell für eine gute Pflege.
Dem steht Leiharbeit auch wegen ihrer zeitlichen Begrenzung entgegen. Nicht alle Beschäftigten in der Leiharbeit können die Qualitätsanforderungen im Umfang wie die Stammbelegschaft leisten. Gut ausgebildete Leiharbeitnehmende stellen aber auch eine Bereicherung für die Hilfebedürftigen und die Stammbelegschaft dar. Als Beispiel sei hier die Intensivpflege genannt.
Leiharbeitnehmende füllen häufig Löcher. Sie bleiben meist ein Fremdkörper. Ihnen fehlt das gewachsene soziale Miteinander der Mitarbeitenden. Ihre fachliche und soziale Kompetenz kann häufig nur schwer eingeschätzt werden. Der kontinuierliche fachliche Austausch fehlt. Betriebsspezifische Arbeitsabläufe sind ihnen meist unbekannt. Für eine Einarbeitung fehlt häufig die Zeit. Sie sind »allein« in einer fremden Umgebung. Und werden vermehrt für schwierige Situationen kostenintensiv angefordert. Das ist durchaus auch für die Leiharbeitnehmenden selbst frustrierend.
Treffen Leiharbeitnehmende auf Einrichtungen mit hoher Fluktuation, verstärken sich die negativen Effekte. Sie sinc keine Lösung für das Personaldilemma. Sie führen zu weiterer Unzufriedenheit bei der Stammbelegschaft. Gute Arbeitsbedingungen können feste Teams mit einer guten Work-Life-Balance entstehen lassen. Werden hier Leiharbeiterinnen und -arbeiter im Bedarfsfall gezielt und begrenzt eingesetzt, können Sie von der Stammbelegschaft gut mitgenommen werden.

CONTRA – Mirjam Rienth
Vizepräsidentin des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister E.V. und Geschäftsführerin und Inhaberin von Jobtour medical.

“In der Zeitarbeit in der Pflege steckt eine hohe Qualität – sie muss aber suchoptimal abgerufen und kurzfristig eingewiesen werden.”

Wieviel Qualität examinierte Plegekräfte aus der Zeitarbeit an ihren Einsatzorten zur Geltung bringen können, hängt ganz maßgeblich von zwei Faktoren ab.
Erstens: Sie müssen bezüglich ihrer nachgewiesenen fachlichen Qualifikation auf das Anforderungsprofil der vakanten Stelle passen.
Zweitens: Sie müssen gut in die Abläufe und Strukturen der jeweiligen Einrichtung eingewiesen, offen und professionell integriert werden.
Beides liegt im Gestaltungsbereich der Einrichtung. Wer nicht nur kurzfristig, sondern auch strategisch vorausschauend seinen Personalbedarf unter Berücksichtigung bekannter Einflüsse wie Urlaubszeiten oder Schwangerschaftspausen plant und frühzeitig Buchungsanfragen stellt, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit passgenau den richtigen Mitarbeitenden und oft auch Pflegekräfte, die bereits Einsätze in der Einrichtung hatten und eingelernt sind.
Weiter ist wichtig: Eine ehrliche Bewertung der Situation in der Einrichtung und etwaiger struktureller und personeller Defizite. Personaldienstleister dürfen nicht primär Lückenfüller sein, sondern sie müssen als strategischer Partner zur nachhaltigen Sicherung der notwendigen Personaldecke genutzt werden. So helfen sie Einrichtungen am besten dabei, ihre pflegerische Qualität zu stärken und auszubauen.
In der Zeitarbeit in der Pflege steckt eine hohe Qualität – sie muss aber auch optimal abgerufen und kurzfristig eingewiesen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Nur eine qualifizierte Buchung sichert qualifizierte und effiziente Dienstleistung. Daher halte ich schicht- oder sogar nur stundenweise Buchungen von Zeitarbeitenden über digitale Systeme für wenig zielführend.
Dafür ist unbestritten: Pflegekräfte von seriösen Personaldienstleistern haben dieselbe gute Ausbildung wie ihre Kolleginnen und Kollegen, die fest in Einrichtungen arbeiten.
Und noch mehr: Sie sind dank auf ihre persönlichen Lebensumstände abgestimmter Arbeitsmodelle motiviert und haben Freiräume für Fort – und Weiterbildungen. Außerdem gibt es umfangreiche, von mir mit erarbeitete Qualitätsstandards für die Zeitarbeit in der Pflege, die – richtig angewandt – eine hohe Verlässlichkeit garantieren.
Vor diesem Hintergrund und der dargelegten Verantwortung der Einrichtungen ist die Diskussion, dass sich Zeitarbeit negativ auf die Pflegequalität auswirke, Augenwischerei. Sie ist schlichtweg falsch.

 

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